CHRISTOF MALCHEN

SYNOPSIS

Christof Malchen was a pioneer of Expropriation Art. He simulated not only artist's attitudes but also exhibitions and galleries. His universe covered all aspects of artistic appearance.

 

"Während es in der Bildenden Kunst als unseriös oder gar skandalös gilt, Werke unter fremdem Namen der Öffentlichkeit vorzustellen, hat die Literatur zum Pseudonym ein freizügiges, ein spielerisches Verhältnis. Fernando Pessoa etwa hauchte vielen seiner unzähligen literarischen Pseudonyme - ausfindig gemacht wurden bislang einundachtzig - so viel Leben ein, dass sie zu Heteronymen wurden, zu Figuren mit lebendiger Kontur, mit Charakter, biographisch unterfüttert, im Clinch untereinander verflochten wie auch in Freundschaft.

In der Musik verhält es sich ähnlich wie in der Literatur: Einer der Protagonisten der Electronica-Musik, Aphex Twin (oder bürgerlich: Richard David James), firmiert unter weit mehr als einem Dutzend Pseudonymen. Ähnliches gilt für Jazz-Musiker oder Musikproduzenten. Die Gründe mögen vielfältig sein, es erstaunt jedoch, dass die Kunst von derlei Gepflogenheiten frei zu sein scheint. Was hindert den Künstler daran, mit Identitäten zu spielen? Ist es die sakrale Herkunft von Bildender Kunst, der den Künstler auf Authentizität verpflichtet und ihn der Möglichkeit enthebt, auf dem Hochseil der Camouflage zu balancieren wie seine artistischen Genossen, weil er sonst der Scharlatanerie bezichtigt werden kann? Ist es der vom Markt geforderte Echtheitswert, der es verbietet künstlerische Identitäten zu vermischen? Eine dritte Vermutung tut sich auf: Künstler, die unter fremden Namen agieren, geraten in heikle Nähe zu Kunstfälschern, die eigene Werke berühmten Kollegen unterschieben. Dennoch bleibt ein Unbehagen. Beim Gang über eine zeitgenössische Kunstmesse, beim Durchblättern eines Kunstmagazins fällt die eklatante Diskrepanz zwischen der dargebotenen Hypersimulation von Realitäten und dem eisernen Festhalten an der eigenen Autorschaft ins Auge. Nichts scheint der artifiziellen Verkünstlichung zu entgehen - bis auf die Marke des eigenen Namens, der für stilistische und damit merkantilisierbare Kontinuität bürgt, und ihrer Präsentation.

Christof Malchen war einer von wenigen Ausnahmen von dieser Regel. Aus abgesicherten Verhältnissen stammend und damit von der Sorge befreit, seine Kunst auf ein solides finanzielles Fundament stellen zu müssen, war ihm nie daran gelegen, seinen Namen zu einer erkennbaren Marke zu entwickeln und auszubauen. Stilistische Erkennbarkeit in der zeitgenössischen Kunst entlarvte er früh als bloße Attitüde. „Seit ich Kind bin, hat es mich gelangweilt, nur ich selbst zu sein und kein anderer. Hätte ich bloß ich selbst sein wollen, wäre ich sicher kein Künstler geworden", sagte er, auf die Verschiedenartigkeit seiner Arbeiten angesprochen. Was Christof Malchen reizte, war die Sache, genauer: die künstlerische Fragestellung, und nicht Erkennbarkeit, Ruhm und Ehre. Immer wieder hat Malchen auf Korrespondenzen zur Literatur - er schätzte Fernando Pessoa zeit seines Lebens - aber auch zum Film aufmerksam gemacht. Seine frühen Arbeiten zu Jacques Truebner, einem früh erblindeten Filmemacher und gebürtigen Elsässer wie er selbst, verdichteten sich schon bald zu filmischen Pastiches, zu kinematographischen Experimenten, die dem großen Vorbild und Freund filmisch nacheiferten und schließlich unter seinem Namen erschienen. Andere Filmexperimente folgten bis in die Mitte der Neunziger Jahre, die seinen eigenen Namen unterschlugen und fiktive Filmemacher ins Spiel brachten wie etwa Berthold Guttentag (Allusion, 1984), Toshiro Sato (Stowaway, 1986), Marnie Bauer (Meshes of the Night, 1993).

„Indem ich mich vervielfältige und eigene Arbeiten meinen anderen Ichs zuschreibe, kann vielleicht so etwas wie eine Mischung von Literatur und Leben entstehen. Wenn der Rahmen, in dem das Fiktive geschieht, die Bühne, zu wackeln beginnt, kommt das Leben ins Spiel. Das Leben und sonst nichts anderes soll den Rahmen abgeben. Das sahen schon die Situationisten, Fluxus, Happening, doch nicht radikal genug. Indem sie sich institutionalisierten, waren sie enttarnt.", so Malchen in einem Brief vom 26.4.2005. Nach einer längeren Schaffenspause, die seiner Krankheit geschuldet war, begann Christoph Malchen unter dem Einfluß der Schriften Jean Dubuffets mit einer Radikalisierung seines Ansatzes. Statt wie bisher unter fremdem Namen in Galerien und Ausstellungshallen aufzutreten oder sich in Gruppenausstellungen zu schmuggeln, beschränkte er sich auf die bloße Ankündigung einer Kunstausstellung, eines Filmes, einer Filmreihe. Die Arbeit an diesen „fake-posters" blieb unvollendet. Sein früher Tod ließ die Reihe fragmentarisch bleiben. Kurz vor einem seiner letzten Klinikaufenthalte sah er mit großer Begeisterung Roberto Rodriguez' „Machete", einen Film, der nur entstand, weil ein fiktiver Trailer mit gleichem Titel in dessen Film „Planet Terror" das Publikum so sehr begeistert hatte, dass Rodriguez den Film zum Trailer produzierte.

Zeit seines Lebens hat Christof Malchen keine Einzelausstellung unter seinem eigentlichen Namen bestritten. Dass er einer der großen Unbekannten im Kunstbetrieb geblieben ist, und das nach fast dreißig Jahren kontinuierlicher Arbeit, war sicher ein großer Erfolg für ihn. Dass er dennoch mit einer Präsentation seiner letzten Arbeiten, den fake-posters, einverstanden wäre, liegt gleichwohl nahe.

Ihm war am Ende daran gelegen, den Spaß und die Freiheit zu vermitteln, die aufkommen, wenn man „weniger davon besessen ist, man selber zu sein als es die Realität einem abverlangt." Die über zwanzig Plakate sind in vollem Umfang der Bedeutung expropriativ: Sie widmen sich vollständig einem Nicht-Ich, überantworten ihre Existenz, ihre Urheberschaft und ihre Präsentation der künstlerischen Phantasie und laden den Zuschauer ein, die Freistellen mit eigener Phantasie zu füllen.

 

Unlike many modern writers or musicians, who allways used pseudonyms quite obsessively, artists in the field of visual art seem to refuse to take part in that game with identities. There is a huge discrepancy between the up to date hypersimulation of reality and the stubbornness of artists insisting on their „true" identity. The late Christof Malchen was an exception. He outright refused to become a label and regarded „"only being oneself" as totaly boring. Under the influence of Jean Dubuffet he radicalized his artistic approach shortly before his death and started a series of „fake-posters" with imagined films, art exhibitions and books. Being one of the great unknowns of the art world after nearly 30 years of art production was his biggest success. And so his poster works celebrate the non-identical and the freedom of being someone or no one."

Excerpt from the catalogue "Christof Malchen. Expropriating Art" (ed. by Georg Joachim Schmitt) edition guetta (Cologne 2012) ISBN: 3-934167-76-8.